Offscreen  Wenn Bilder jenseits ihrer Ränder zurückblicken

What is an image? (Mitchell 1984) / Was ist ein Bild? (Boehm 1994) – What do pictures really want? (Mitchell 1996) – Der durchschlagende Erfolg der ikonischen Titel zur Bilderfrage und zum vermeintlichen Pictorial oder Iconic Turn1 verdankt sich nicht zuletzt der formelhaften Kurze der Titel. Angesichts der großen Unubersichtlichkeit, die der Bilddiskurs seither angenommen hat, ist die suggestive Kraft dieser Fragen, ihr Versprechen auf Beantwortbarkeit, jedoch irrefuhrend.2 Mitchell selbst, und daran soll hier einleitend erinnert werden, verfolgt mit seinem Text zur Frage, was Bilder denn eigentlich wollen, nicht die Absicht, dies abschließend zu beantworten. Vielmehr wird in seiner Argumentation die Frage selbst zur Antwort und öffnet den Blick fur das, was Images as Agents zu bewirken vermögen. Er greift die wiederkehrende Rede von der Macht der Bilder auf und dreht sie gleichsam um: Statt nach der Macht der Bilder, also dem, was sie vermeintlich haben und bewirken können, zu fragen, fordert er dazu auf in einem kritischen Sinn nach dem Begehren der Bilder zu fragen, also dem, woran es ihnen mangelt und was sie wollen; statt sie also mit der Vorstellung zu belehnen, sie seien im vollen Besitz von Präsenz und Evidenz etwa, wie es viele kunsthistorische Bildtheorien konstatieren, ginge es vielmehr darum, sie in ihrer tatsächlichen Ohnmacht zu erkennen.3
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  1. Zu den prominenten Redefiguren, die mit dem sogenannten Pictorial, Iconic oder auch Visual Turn verbunden sind und ihren Missverständnissen gegenuber dem Linguistic Turn vgl. Sigrid Schade und Silke Wenk: Studien zur visuellen Kultur : Einfuhrung in ein transdisziplinäres Forschungsfeld, Bielefeld 2011, insbesondere: Kap. II, S. 35-63.
  2. W. J. T. Mitchell selbst sprach später vom „Irrtum eines »Pictorial Turn«“, vgl. „Das Sehen zeigen: Eine Kritik der visuellen Kultur“, in: Ders.: Bildtheorie, hrg. von Gustav Frank, Frankfurt a.M. 2008, S. 312-343; Original: Showing Seeing: A Critique of Visual Culture, 2002. Vgl. außerdem zur Heterogenität der Positionen: Dieter Mersch und Stephan Gunzel (Hrg.): Bild. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2014.
  3. William J. Thomas Mitchell: „Was will das Bild?“, in: ders. (Hrg.): Das Leben der Bilder: eine Theorie der visuellen Kultur, München 2008, S. 46- 77, hier: S. 60.

Sigrid Adorf, « Offscreen - Wenn Bilder jenseits ihrer Ränder zurückblicken », in: Christiane Kruse & Birgit Mersmann (dir.), Bildagenten. Historische und zeitgenössische Bildpraxen in globalen Kulturen, München: Wilhelm Fink Verlag, 2021